Rezension zu ‚Die Sieben Tode der Evelyn Hardcastle‘ von Stuart Turton

Für mich als Krimi-Junkie sind Kriminalromane, deren Auflösung ich nicht zumindest zu großen Teilen vorhersehen kann, mittlerweile eine Rarität geworden. Die Sieben Tode der Evelyn Hardcastle hat alle meine Erwartungen übertroffen, da der Roman mich sogar überraschen und mir den letzten Schlaf rauben konnte.

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Titel: Die Sieben Tode der Evelyn Hardcastle| Autor: Stuart Turton | Verlag: HEYNE | Release: 08. März 2021 | Seiten: 608 ISBN: 978-3-453-44115-6 |

„Während des Balls heute Abend wird jemand ermordet werden. Es wird nicht wie ein Mord aussehen, und man wird den Mörder daher nicht fassen. Bereinigen Sie dieses Unrecht, und ich zeige Ihnen den Weg hinaus.”

aus ‚Die Sieben Tode der Evelyn Hardcastle‘

Das Buch in einem Satz

Täglich grüßt das Murmeltier mit einem Touch Freaky Friday trifft auf eine Art Escape-Game, bei dem drei Charaktere gegeneinander in einem gefährlichen Spiel antreten, um einen Mordfall zu lösen.

Hinweis: Danke an den Heyne-Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.

Bereits nach wenigen Kapiteln wurde mir klar, eine Rezension zu schreiben, die diesem Buch gerecht wird, könnte nahezu unmöglich werden. Meiner Meinung nach hat Stuart Turton mit “Die Sieben Tode der Evelyn Hardcastle” ein wahres Meisterwerk der Handlungskonstruktion, voller Plottwists, Verkettungen und Überraschungsmomente, geschaffen. Es lässt sich sicherlich darüber streiten, ob man das Werk als gelungene Kriminalgeschichte empfindet; worüber sich keinesfalls streiten lässt, ist die enorme Komplexität und der Facettenreichtum des Romans. So etwas habe ich einfach noch nie gelesen.

Versuchen wir mal, die Handlung zusammenzufassen:

Familie Hardcastle veranstaltet auf ihrem Anwesen Blackheath einen Maskenball, um die Rückkehr ihrer Tochter Evelyn aus Paris zu feiern. Während der Feier ist plötzlich ein Schuss zu hören und kurz darauf wird die Leiche von Evelyn Hardcastle entdeckt. Wer hat die junge Frau auf dem Gewissen und was hat es mit dem Mord an Evelyn auf sich? Genau dieses Rätsel soll der Protagonist lösen – und zwar bevor einer seiner beiden Gegenspieler es tut. Denn solange der Mord nicht aufgeklärt ist, wird Evelyn wieder und wieder sterben, da sich der Tag in einer mysteriösen Endlosschleife wiederholt, aus der es sonst kein Entkommen gibt. Erschwert wird das Ganze noch dadurch, dass Protagonist Aidan jeden Morgen in dem Körper eines anderen Gastes aufwacht und den Tag aus dessen Perspektive erlebt. Es beginnt ein rasantes und gefährliches Spiel, bei dem die dunkelsten Geheimnisse und perfide Intrigen aufgedeckt werden und man Freund von Feind kaum unterscheiden kann.

Höchst komplexer Aufbau und ein rasantes Tempo

Das ist so grob die Ausgangssituation der Geschichte. Allerdings hat der Kriminalroman viele verschiedene Ebenen und Nebenhandlungen, die miteinander verwoben werden. So findet die Feierlichkeit ausgerechnet am Todestag von Evelyns vor 19 Jahren ermordeten Bruders Thomas statt. Klingt kurios? Ist es auch. Ein weiterer mysteriöser Umstand ist, dass genau jene Gäste eingeladen sind, die auch vor 19 Jahren auf Blackheath anwesend waren, als sich der Mord an Thomas ereignete. Coincidence? I think not. Wie gesagt, es kommen im Laufe des Romans allerhand Geheimnisse der verschiedenen Charaktere ans Licht. Jede:r spielt irgendwie eine Rolle in dem ganzen Wirrwarr und ich fand es durchweg spannend, da auf nahezu jeder Seite ein neues Rätsel darauf wartete, gelöst zu werden.

Der Roman hat einen sehr komplexen Aufbau und das muss man definitiv mögen. Ich finde es absolut grandios. Was auf jeden Fall hilfreich ist, dass vorne und hinten ein Lageplan des Anwesens mit den Namen der Personen und ihren Zimmern ist, damit man sich beim Lesen zwischendurch orientieren kann. (Und glaubt mir, das braucht man, denn Turton hat es geschafft, alle und alles irgendwie miteinander in Verbindung zu bringen. 🤯) Zu Beginn des Romans ist außerdem die Einladung zum Maskenball mit einer Liste der Gäste aufgeführt.

Ohne zu spoilern, lasst euch aber gesagt sein, dass man sich als potentielle:r Leser:in bewusst sein sollte, dass es sich hierbei um einen Kriminalroman mit übernatürlichem Einschlag handelt. Falls es vorher nicht deutlich wurde: Protagonist Aidan wacht jeden Morgen in einem anderen Körper auf, hat die Erinnerungen der Person, in dessen Körper er steckt, und der Tag wiederholt sich stetig in Endlosschleife. Es wird jetzt nicht explizit erklärt, wie das genau funktioniert. Nur damit am Ende niemand sagen kann, das ist ja völlig unrealistisch. 😄 

Vielschichtige Charaktere, viel zu entdecken

Wissen Sie, woran man erkennen kann, ob es ein Monster verdient hat, wieder auf Erden zu wandeln? Ob sich ein Unmensch wahrhaftig von seiner Unschuld reingewaschen hat und Ihnen nicht einfach nur erzählt, was Sie hören wollen?

aus ‚Die Sieben Tode der Evelyn Hardcastle‘

Die große Herausforderung bei diesem Roman besteht definitiv darin, alle Charaktere, in denen sich der Protagonist Aidan wiederfindet, verständlich und greifbar auszuarbeiten und das ist meiner Meinung nach absolut gelungen. Sei es zum Beispiel Sebastian Bell, Edward Dance oder Lord Ravencourt, Stuart Turton schafft es, die Charakterzüge und Ängste des jeweiligen Hosts – also des Wirts, den Aidan einnimmt – im Zusammenspiel mit Aidan zu vermitteln. Besonders genial finde ich vor allem auch die Meta-Ebene, die Turton hier schafft: Die Geschichte beginnt damit, dass der Protagonist sich im Wald wiederfindet, ohne Erinnerungen an bisherige Ereignisse. Er ist verwirrt und orientierungslos – und spiegelt somit die Ausgangslage der Leser:innen wider, die selbst gerade erst in die Geschichte eintauchen. Wir erleben also eine Charakterentwicklung von Null auf Hundert, denn Aidan lernt sich selbst quasi neu kennen und entwickelt sich im Laufe der Geschichte zudem enorm weiter. Gleichzeitig erhält er Einblicke in die Charaktere, die er einnimmt, und kann auch deren Wesen reflektieren, was ihm bei seiner eigenen Charakterentwicklung hilft. Jeder der Wirte schafft es, ihn zu prägen.

Twists & Turns an jeder Ecke und aufregend bis zum grandiosen Ende

Es ist äußerst frustrierend. Ich kann die Brotkrumen sehen, die auf meinem Weg ausgelegt sind, aber es könnte genauso gut sein, dass ihre Spur mich an den Rand eines Abgrunds führt. Unglücklicherweise gibt es jedoch keinen anderen Weg, dem ich folgen könnte.

aus ‚Die Sieben Tode der Evelyn Hardcastle‘

Der Kriminalroman legt ein rasantes Tempo vor, ohne jedoch gehetzt zu wirken. Es passiert ständig etwas, überall warten Hinweise, Geheimnisse und Erkenntnisse und mich hat es regelrecht zum Lesen angetrieben. Immer, wenn ich geglaubt habe, etwas erahnen zu können, hat der Autor mich eines besseren belehrt und mich mit einem Twist überrascht. Es war definitiv nie langweilig. Von der Auflösung – die ich natürlich nicht verrate und auch nicht weiter kommentiere – mag vielleicht nicht jede:r begeistert sein, ich hingegen, empfinde das Buch von der ersten bis zur letzten Seite als perfekt. 

Eine ganze klare Leseempfehlung von mir. Für alle, die vielleicht mal einen etwas anderen Krimi lesen möchten und auch von einer sehr komplexen Konstruktion nicht zurückschrecken.

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